Die unsichtbare Herausforderung: Leben und Arbeiten mit ME/CFS

Wenn man an Krankheiten denkt, kommen einem oft sofort sichtbare Symptome in den Sinn – ein gebrochener Arm oder eine Grippe. Doch es gibt Erkrankungen, die im Verborgenen lauern und dennoch das Leben der Betroffenen erheblich beeinflussen. Eine solche Erkrankung ist das Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom, kurz ME/CFS.

In diesem Blogartikel möchte ich nicht nur über ME/CFS informieren, sondern auch ganz persönliche Einblicke in meinen Umgang damit geben.


Was ist ME/CFS?

ME/CFS ist eine komplexe chronische Erkrankung, die durch eine anhaltende, oft lähmende Erschöpfung gekennzeichnet ist, die nicht durch Ruhe oder Schlaf verbessert wird. Diese Erschöpfung ist viel intensiver als normale Müdigkeit und wird durch körperliche oder geistige Aktivitäten verschlimmert. Sie wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als neurologische Erkrankung klassifiziert und betrifft weltweit Millionen von Menschen.Typische Symptome von ME/CFS:

  • Post-Exertional Malaise (PEM): Eine Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung, die oft erst verzögert eintritt.
  • Chronische Erschöpfung: Eine tiefgreifende Müdigkeit, die nicht mit normaler Müdigkeit vergleichbar ist.
  • Schmerzen: Muskel-, Gelenk-, Nerven- und/oder Kopfschmerzen.
  • Kognitive Einschränkungen: Probleme mit Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnis, oft als “Brain Fog” bezeichnet.
  • Schlafstörungen: Nicht erholsamer Schlaf trotz ausreichend Schlafzeit.
  • Autonome Dysfunktion: Herz-Kreislauf-Probleme, Schwindel, orthostatische Intoleranz (Probleme beim Stehen).

Ein Problem für Erkrankte besteht darin, dass ihr Antrieb – im Gegensatz zu Burnout oder Depression – trotz körperlicher und geistiger Einschränkungen nicht abnimmt, was dazu führen kann, sodass Überlastungen leicht passieren.

Die genaue Ursache von ME/CFS ist noch nicht vollständig geklärt, aber es wird vermutet, dass Infektionen, Störungen des Immunsystems und der Energieregulation eine Rolle spielen. Es gibt keine Heilung, aber eine individuell angepasste Behandlung kann helfen, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern. Therapien konzentrieren sich darauf, die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.


Die alltäglichen Belastungen

Für Menschen mit ME/CFS ist jeder Tag eine Herausforderung. Schon kleine Aufgaben wie das Aufstehen, Duschen oder Einkaufen können enorme Energie kosten. Viele Betroffene erleben eine sogenannte “Post-Exertional Malaise” (PEM), also eine Verschlechterung der Symptome nach körperlicher oder geistiger Anstrengung. Das bedeutet, dass sie ihre Aktivitäten sorgfältig planen müssen, um Überanstrengung zu vermeiden.

Dies wird oft als “Spoon Theory” beschrieben: Jeder Tag beginnt mit einer begrenzten Anzahl an “Löffeln” Energie, und jede Aktivität kostet einen oder mehrere Löffel. Sind die Löffel verbraucht, bleibt nur Erschöpfung und Schmerz.

Emotionale und soziale Herausforderungen:

  • Viele Betroffene fühlen sich isoliert, da die Erkrankung oft unsichtbar ist und von Außenstehenden missverstanden wird.
  • Die Unvorhersehbarkeit der Symptome erschwert die Planung und Teilnahme am sozialen Leben.
  • Die Unsichtbarkeit der Krankheit führt oft zu Vorurteilen, wie: “Du siehst doch gesund aus, warum bist du so erschöpft?”

Der Kampf mit der Akzeptanz: Für viele ist es ein langer und schmerzhafter Prozess, die Einschränkungen durch ME/CFS zu akzeptieren. Das frühere Leben, mit all seinen Aktivitäten und Träumen, ist oft nicht mehr möglich.


Pacing: Der Schlüssel zur Energieverwaltung

Pacing ist eine wichtige Strategie für Menschen mit ME/CFS bei der es darum geht, die eigene Energie im Alltag so zu steuern, dass Überanstrengung vermieden werden. Es geht darum, die tägliche Aktivität so zu planen, dass sie in Einklang mit den eigenen Energiegrenzen steht. Nur so lassen sich Häufigkeit und Schwere von Crashs reduzieren.

Der Ansatz des Pacing umfasst mehrere Aspekte:

  • Selbstbeobachtung: Betroffene lernen, die eigenen Symptome und Energielevels genau zu beobachten. Tagebuchführung kann dabei helfen, Muster zu erkennen und Aktivitäten besser zu steuern.
  • Aktivitäten einteilen: Da PEM auch mit zeitlicher Verzögerung auftritt ist es sehr hilfreich, ein Aktivitätentagebuch zu führen.
  • Pausen einplanen: Regelmäßige Pausen sind essenziell, um die Erschöpfung zu verhindern. Kurze, aber regelmäßige Ruhephasen während des Tages können helfen, die Belastung zu reduzieren und die Leistungsfähigkeit zu erhalten.
  • Pacing mit Herzfrequenz: Die Nutzung eines Herzfrequenzmessers (Smartwatch oder Fitnessarmband) kann helfen, mit der Herzfrequenz unterhalb der anaeroben Schwelle zu bleiben.
  • Flexibilität: Da die Symptome von Tag zu Tag variieren können, ist es wichtig, flexibel zu bleiben und den Tagesablauf entsprechend anzupassen. Manchmal ist es notwendig, geplante Aktivitäten abzusagen oder zu verschieben, um die eigene Gesundheit zu schützen.

Ziel dieses Lernprozesses ist es, durch Aktivitäts- und Energiemanagement den Alltag so zu gestalten, dass möglichst selten PEM auftritt und die Symptomlast möglichst gering bleibt. Die persönliche Belastungsgrenze kann im Erkrankungsverlauf oder sogar täglich schwanken, sodass die hilfreichen Maßnahmen ständig an den Gesundheitszustand angepasst werden müssen.


Arbeiten mit ME/CFS: Ist das möglich?

Die Frage, ob und wie Arbeiten mit ME/CFS möglich ist, hängt stark von der Schwere der Erkrankung und den individuellen Umständen ab. Viele Betroffene sind vollständig arbeitsunfähig, während andere in Teilzeit oder mit flexiblen Anpassungen weiterhin arbeiten können. Herausforderungen im Arbeitsalltag sind:

  • Energieeinschränkungen: Ein typischer Arbeitstag ist für viele Betroffene schlicht nicht machbar. Ein paar Stunden können bereits zu PEM führen.
  • Kognitive Symptome: Konzentrationsprobleme und “Brain Fog” erschweren Tätigkeiten, die geistige Wachheit erfordern.
  • Unvorhersehbarkeit: Die Symptome können von Tag zu Tag schwanken, was es schwierig macht, konstante Leistungen zu erbringen.

Mögliche Lösungsansätze:

  • Flexible Arbeitszeiten: Arbeitgeber, die flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice ermöglichen, können Betroffenen erheblich helfen.
  • Teilzeitarbeit: Ein reduziertes Arbeitspensum kann die Belastung verringern.
  • Pacing: Betroffene lernen, ihre Energie strategisch einzuteilen, um Überlastung zu vermeiden. Dies kann auch im Arbeitskontext angewandt werden.
  • Barrieren abbauen: Ergonomische Arbeitsplätze und die Möglichkeit, Pausen einzulegen, sind essenziell.

Berufliche Alternativen: Manche Betroffene entscheiden sich, aufgrund ihrer Einschränkungen neue Wege zu gehen, z. B. durch selbstständige Tätigkeiten, die sie flexibel gestalten können.


Chronisch optimistisch: Ein Buch das Zuversicht vermittelt

Besonders hilfreich in der Aktzeptanz von ME/CFS war für mich das Buch “Chronisch optimistisch – Wie du trotz chronischer Erkrankungen optimistisch bleibst” von Julia Stüber. Es ist ein motivierendes, ehliches und ermutigendes Buch, das zeigt, wie man trotz Herausforderungen eine positive Einstellung bewahren kann. Julia Stüber teilt ehrlich ihre Erfahrungen und gibt wertvolle Einblicke, um das Leben mit mehr Optimismus anzugehen.

Julia Stüber gelingt es, die Herausforderungen und Belastungen des Alltags mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit zu schildern, ohne die Schwere der Erkrankung zu verharmlosen. Besonders gefallen hat mir der Abschnitt über toxisxche Positivität.

Ihr Schreibstil ist warmherzig und einfühlsam. Sie entführt uns in ihre Gedankenwelt und zeigt, wie sie trotz der physischen Einschränkungen einen Weg gefunden hat, optimistisch zu bleiben. Ein zentrales Thema des Buches ist die Kraft der positiven Einstellung und der Umgang mit Rückschlägen. Julia Stüber ermutigt die Leser, in den kleinen Dingen des Lebens Freude zu finden und mit Resilienz auf die Herausforderungen zu reagieren.

Dieses Buch ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man trotz widriger Umstände ein erfülltes Leben führen kann. Ein Muss für alle, die Hoffnung und Motivation suchen – nicht nur für Betroffene chronischer Erkrankungens, sondern auch für alle aus ihrem Umfeld!

ein so wertvolles Buch von Julia Stüber

Ein persönlicher Blick

ME/CFS ist keine “Erschöpfung”, die man durch Willenskraft überwinden kann. Es ist eine schwerwiegende Erkrankung, die das Leben der Betroffenen grundlegend verändert.

(über meinen persönlichen Umgang werde ich in den kommenden Tagen schreiben)


Schlussgedanken: Hoffnung und Selbstfürsorge

Trotz aller Herausforderungen gibt es für Menschen mit ME/CFS Hoffnung. Fortschritte in der Forschung geben Anlass zur Zuversicht, dass die Ursachen der Krankheit besser verstanden und effektivere Behandlungsmethoden entwickelt werden. Bis dahin ist es wichtig, auf sich selbst zu achten, die eigenen Grenzen zu respektieren und sich nicht von gesellschaftlichen Erwartungen unter Druck setzen zu lassen. Für Betroffene bedeutet das Leben mit ME/CFS oft, das Tempo zu drosseln und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es kann ein langsamer, aber wertvoller Weg sein, sich selbst neu zu entdecken und das Leben auf eine andere, bewusstere Weise zu gestalten.


Falls du selbst betroffen bist oder jemanden kennst, der mit ME/CFS lebt: Du bist nicht allein. Es gibt Selbsthilfegruppen, Online-Communities und Organisationen, die Unterstützung bieten. Gemeinsam können wir das Bewusstsein für diese unsichtbare Krankheit stärken!

Hilfreiche Links zu ME/CFS:

ME-CFS Portal ist eine online Selbsthilfegruppe mit vielen wertvollen Informatinen

Bündnis ME/CFS

Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.

Fatigatio e.V. – Bundesverband ME/CFS

Lost Voices Stiftung